Auf einen Blick:
Die nächste Mittwochsmusik findet statt am: 5. März 2025, in der Kreuzkirche, Kronenweg 67. Beginn, wie immer: 19:00 Uhr, Eintritt, auch wie immer, frei. Körbchen am Ausgang.
Auf dem Prgramm steht die Sonatine in a-moll für Orgel, op. 74, von Sigfrid Karg-Elert (1877 – 1933). Orgel: Thomas Jung.
Details:
Mit den Fortschritten, die der Orgelbau im 19. Jahrhundert gemacht hatte, zunächst in Frankreich, später in Deutschland, hatten sich auch die kompositorischen Möglichkeiten für dieses Instrument erweitert. In Frankreich wächst die Form der Orgelsonate zur Orgelsymphonie. In Deutschland schreiben zunächst Mendelssohn und Rheinberger groß angelegte Sonaten – die entsprechenden Werke aus Rheinbergers mittleren Jahren streifen in Form und Ausdehnung das Symphonische. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fließt der konzertant-virtuose Zuschnitt der Klavierliteratur mehr und mehr auch in die Orgelmusik hinein. Die g-moll Sonate Gustav Merkels, die in der Februar-Musik erklang, ist eine Vertreterin dieses Typus innerhalb der Gattung der Orgelsonate.
Nun ist die Orgel mit ihrem Hintergrund des sakralen Raumes immer anders behandelt worden als das Klavier oder die Violine. Max Reger bspw. war durchaus der Ansicht, die Subjektivität einer Klaviersonate ließe sich nicht auf die Orgel übertragen. Nicht nur Reger hatte innerhalb der Orgelsonate auf die älteren, „objektiveren“ Formen der Passacaglia oder der Fuge zurückgegriffen.
In dieser Märzmusik finden wir dasselbe, in der sehr eigenen, inviduellen Ausprägung von Sigfrid Karg-Elert. Seine Sonatine für Orgel aus dem Jahr 1909, sie steht in a-moll und trägt die Opus-Zahl 74, besteht aus zwei Sätzen. Der Kopfsatz folgt dem Dualismus der Sonatenhauptsatzform: Zwei Themen, die in der Exposition vorgestellt werden, die miteinander „diskutieren“, die in der Reprise versöhnlich nebeneinander stehen.
Dass der Titel „Sonatine“ hier nichts mit einer belanglosen Unterrichtsstudie für mehr oder minder motivierte Instrumentalschüler zu tun hat, unterstreicht schon die Ausdehnung des zweiten Satzes: Es ist eine Chaconne mit 272 Takte Länge. Im Zentrum dieser Chaconne steht eine, wie Karg-Ehlert notiert, Tripelfughette, also eine polyphone, durchweg dreistimmige Musik über drei Themen – von denen zwei ausgesprochen komplex sind.
In allen Sätzen folgt Karg-Elert dabei einem „Hin und zurück“: Diese knappe Formulierung des Notenherausgebers Wolfgang Stockmeiers beschreibt das Klanggeschehen gut. Die einzelnen Variationen über dem barocken Chaconne-Thema erscheinen nach der Tripelfughette nahezu wörtlich, aber in umgekehrter Reihung, um in einem choralartigen, breiten Schluss zu münden und auszuklingen. Dasselbe Prinzip des „Hin und zurück“ strukturiert auch die ausladende Fughette im Mittelteil, zudem ist es bereits im ersten Satz angelegt. Trotz der komplexen Fughettenthemen verleiht diese Architektur der gesamten Sonatine innere Homogenität und Geschlossenheit.

Ein Wort zu Sigfrid Karg-Elert zum Schluss: In der Kirchenmusik ist er aufgrund seiner Sammlung der 66 Choral-Improvisationen, op. 65, bekannt. Geboren 1877 in Oberndorf am Neckar, als Siegfried Theodor Karg und in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, ist er vier Jahre jünger als Max Reger, zu dem er, gerade auf dem Gebiet der Orgelmusik, eine Art künstlerischen Wettbewerb entwickelte.
Den Großteil seines Lebens verbrachte Karg-Elert in Leipzig, hatte von dort aus mit seinen Werken vor allem im angelsächsischen Raum Erfolge. In Deutschland wurde in den letzten Jahren seines Lebens seine Musik vom aufkommenden Faschismus zunehmend vernachlässigt. Protagonisten des damaligen Musikbetriebes, namentlich der Thomasorganist Karl Straube und der Theoretiker Hermann Grabner, stellten sich offen gegen Karg-Elerts „undeutsche“ Musik.
Die Katastrophe des dritten Reiches erlebte Karg-Elert nicht mehr. Er starb im April 1933 in Leipzig, und obgleich sein Werk über Jahrzehnte im Schatten der Verdrängung überwintern musste, ändert das nichts an der Substanz, der Meisterschaft und der Fantasie seiner Partituren. Hier ist viel zu entdecken. Die 1984 in Heidelberg gegründete Karg-Elert-Gesellschaft versucht, ihren Teil dazu beizutragen und die wissenschaftliche Aufarbeitung seines Lebenswerkes zu fördern. Vielleicht mag die Sonatine, op. 74, dieser Abendmusik für die eine oder den anderen ein Ausgangspunkt zu weiteren Entdeckungsreisen werden.
In diesem Sinne: Herzliche Einladung zur Mittwochsmusik am 5. März, ab 19:00 Uhr, in der Kreuzkirche. An der Orgel: Thomas Jung.
TJ.
Beitragstitelbild: Die erste Seite von Karg-Elerts Sonatine, op. 74. Quelle: IMSLP.